Der mächtigste Muskel

Es geht in diesem Bericht nicht nur um einen Lauf – und auch nicht allein um den Versuch, einen Rekord zu brechen.
Es geht um den mächtigsten Muskel in unserem Körper: das Gehirn.

Denn egal, wie stark Herz, Lunge oder Beine sind – am Ende entscheidet immer der Kopf.
Darüber, ob wir weiterlaufen, wenn es weh tut.
Ob wir an uns glauben, wenn andere zweifeln.
Und ob wir bereit sind, etwas zu wagen, dessen Ausgang ungewiss ist.

Genau das war mein Antrieb für dieses Projekt.
Und eines steht für mich fest: Wenn ich an der Startlinie stehe, gibt es keine Ausreden.

 

6-Stundenlauf – Knapp daneben ist auch vorbei. Oder?

Der 6-Stunden-Straßenlauf ist eine besondere Form des Ultralaufens: Innerhalb dieser Zeit gilt es, auf einer vorgegebenen Strecke so viele Runden wie möglich zu absolvieren. Ein Format, das viel Raum für individuelle Ziele lässt – und gleichzeitig gnadenlos ehrlich ist.

Ich hatte ein ganz besonderes Ziel: In meiner bunten Mischung aus Multisport-Erfolgen fehlte noch einer – ein Weltrekord. Anfang des Jahres stieß ich auf die „Rekord“-Seite der IAU, des offiziellen Weltverbands der Ultraläufer. Dort entdeckte ich, dass der seit fast 30 Jahren bestehende Rekord der Französin Huguette Jouault (77,60 km) nicht völlig außer Reichweite lag.
Dafür hätte ich eine Durchschnittspace von 4:38 min/km laufen müssen – ambitioniert, aber machbar, dachte ich. Neugierig, herausgefordert, bereit, meine Komfortzone zu verlassen. Denn genau das ist es, was mich antreibt.
Allerdings – das Projekt startete, bevor der Sommer kam…

(Kleiner Exkurs)
Die IAU spricht offiziell von „Bestleistungen“ oder „Records“, nicht von „Weltrekorden“ im strengen Sinne – die formalen Anforderungen dafür sind komplex. Aber lassen wir die Wortklauberei: Nach dieser Logik müssten ohnehin 90 % aller „Weltrekorde“ neu betitelt werden.

Die Fakten zuerst – und sie können sich sehen lassen

🎯 Ziel: Weltrekord AK 45 – 77,6 km (4:38 min/km)
📏 Ergebnis: 76,846 km – also nur 750 Meter (1 %) daneben
🏃‍♀️ Marathon-Durchgang: 3:15:48 h
🥈 2. Platz Gesamt, Streckenrekord
🇩🇪 Neuer Deutscher Rekord AK 45 (bisher: 74,778 km)
📊 Platz 6 in der ewigen deutschen Bestenliste

Und das Wichtigste: Mein Körper hat gehalten – keine Verletzung, keine Folgeschäden.

Ich bin glücklich. Und stolz.
Ergebnisse

Die Vorbereitung – Erfolg ist kein Zustand

„Erfolg ist nicht endgültig. Scheitern ist nicht fatal. Es kommt auf den Mut an, weiterzumachen“.

Wie man eine wochenlange Achterbahnfahrt meistert: Ich bin froh, dass ich auf meine innere Stimme gehört habe. Gegen äußere Zweifel, gegen Manipulationen, gegen die Vernunft.
Sie sagte: Hab den Mut und zeig dich – auch wenn du nicht weißt, wie es ausgeht.

Warum? Weil genau diese Gratwanderung das Leben spannend macht.

Das Projekt begann noch vor meiner Durchfallerkrankung, die mich bis heute begleitet. Seit Juli balanciere ich auf einem schmalen Grat zwischen genug Training, um locker an den Start zu gehen, und maximalem Training, um nicht zu riskieren, mich ernsthaft zu verletzen (vermutlich Knochenödem an der Fußsohle).
Dazu kamen massive Muskelverspannungen im Oberschenkel – vermutlich eine Schonhaltung. Der Körper ist ein phänomenales System, und doch gilt immer Regel Nr. 1: Wenn du Schmerzen hast, such den „bösen Nachbarn“.

Dieser Grat zwischen Vernunft und Leidenschaft ist unbequem – aber genau dort liegt das Wachstum. Der Preis für Großartigkeit ist, Unbehagen auszuhalten.

Die letzten sechs Wochen mit 80–90 Laufkilometern pro Woche liefen dennoch erstaunlich gut. Mein Standard liegt sonst bei 50–60 km, ergänzt durch Radfahren und Schwimmen, um VO₂max und Muskelkraft zu stärken.

Was ich nicht wusste: wie sich sechs Stunden Asphalt wirklich anfühlen würden. Ich rechnete mit allem – von schwerer Verletzung bis Rennabbruch. Und hoffte dennoch auf das Beste.

Der Lauf – keine Ausreden

Am Morgen schrieb ich meinem Trainer:

„Ich übernehme 100 % Verantwortung für mein Handeln und bin mir möglicher Konsequenzen (schwere Verletzung) bewusst.“

Der 1.54km Rundenkurs ist aufgrund einer Steigung nicht der schnellste (für so ein Vorhaben), aber dafür um 10 Uhr, kühle Temperaturen, leichter Ostwind – perfektes Laufwetter.
Bis Kilometer 60 (nach 4:40 h) war ich exakt auf Weltrekordkurs. Dann wurde ich langsamer. Nicht, weil der Körper streikte – der Fuß hielt. War es der Kopf?

Das Hirn kann ein tückischer Gegner sein.
So fokussiert auf die Rundensplits, hatte ich geglaubt, schon über 5 Stunden zu laufen – in Wahrheit waren es 4:42 h. Der Gedanke, noch 1 Stunde 20 zu haben statt weniger als 1 h, brachte mich kurz aus der Balance.
Klingt banal, war aber der Moment, in dem das Gleichgewicht zwischen Fokus und Erschöpfung kippte.

Fazit – Versuch macht Klug

Man weiß nie, ob man es schafft – bis man es versucht.
Ich habe es versucht. Ich bin gelaufen. Ich habe gekämpft. Und ich habe gelernt.

Ein 6-Stunden-Straßenlauf ist etwas völlig anderes als ein 9-Stunden-Triathlon oder ein 6-Stunden-Trail. Nur weil man generell ausdauerstark ist, heißt das nicht, dass alles, was „lang“ ist, gleich funktioniert.
Meine Multisport-Philosophie hat mich weit gebracht – über Distanzen, Disziplinen und Jahre hinweg. Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem man sich neu fokussieren muss.

Mein 14. Jahr im (semi-)professionellen Sport war kein leichtes, aber es war ein gutes:
🏆 1. Platz St. Wendel Marathon
🥈 3 Trail-Podiumsplätze
🔥 3 Streckenrekorde

Triathlon ist Geschichte. Die Leidenschaft fürs Laufen bleibt.
Jetzt ist Zeit für Fokus – und für neue Träume. Ich freue mich auf 2026.

 

Das Beste zum Schluss – #TeamworkMakestheDreamWork

Ohne dieses Team wäre es schlicht nicht möglich gewesen:

  • Andreas Brünnert – „Barkeeper“ & Verpflegungschef
  • Christian Jakob – Läuferische Begleitung & VP auf der Strecke
  • Dr. Manfred Sagerer – Hausarzt mit sportlichem Herz und außergewöhnlichem Engagement
  • Günther Weitzer – Orgachef & Abteilungsleiter Ultralauf beim SV Schwindegg – er organisierte die offizielle IAU-Streckenvermessung, die 10 Tage vor dem Lauf noch einmal richtig kompliziert wurde. Im mittleren Bild: ganz rechts Günther Weitzer, 2. v.l. Roland Kammhuber (1. BGM Schwindegg), links Martin Thalmeier (2. BGM Schwindegg)

Weltrekord knapp verfehlt? Vielleicht.
Aber mentale Stärke bewiesen? Ganz sicher.
Und manchmal ist genau das der wahre Sieg. 💫